"Zivilisatorischer Bruch"

Frankreichs Religionsführer besorgt über Sterbehilfe-Neuregelung

Führende Repräsentanten der Religionen in Frankreich äußern sich besorgt über das geplante Gesetz zum Lebensende. Vertreter von katholischer Kirche und Islam werteten die Möglichkeit von Sterbehilfe als einen gefährlichen Wendepunkt, wie die Zeitung "La Croix" berichtet. Juden und Protestanten seien dagegen der Meinung, dass es sich dabei weder um Euthanasie noch um assistierten Suizid handle. Bislang hatten sich die Religionen einhellig gegen eine Legalisierung von Sterbehilfe und assistiertem Suizid gewandt, so bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Ende Januar.

Der Präsident der Protestantischen Föderation Frankreichs, Christian Krieger, sieht die Ankündigung von Präsident Emmanuel Macron vom Wochenende laut Bericht als eine Fortsetzung seiner bisherigen Äußerungen. Allerdings verschiebe sich der Akzent des Projekts offenbar zugunsten von Sterbehilfe und zu Lasten der Palliativkultur. Der Geistliche sieht "einen anthropologischen und zivilisatorischen Bruch ab dem Moment, in dem wir über das Töten nachdenken".

Krieger wörtlich: "Ich bin mir über den Fortgang einer Liberalisierung des Gesetzes zu diesem Thema im Klaren: Menschen, die nicht den Kriterien für den Zugang zu diesen Maßnahmen entsprechen, werden 'Diskriminierung' rufen, und die Praxis wird sich unweigerlich ausweiten."

Eine ähnliche Position vertritt der Oberrabbiner von Frankreich, Haim Korsia. Er sagte dem Wochenmagazin "Le Point", er halte den bisherigen Rechtsrahmen für ausreichend. Es brauche kein neues Gesetz für Grenzfälle, wie es jetzt auf den Weg gebracht werde. Einen Weg hin zu aktiver Sterbehilfe lehnte Korsia zwar ausdrücklich ab, sieht ihn aber durch die Ankündigung Macrons auch noch nicht beschritten.

Der Rektor der Großen Moschee von Paris, Chems-Eddine Hafiz, sagte mit Blick auf Macrons Worte: "Sterbehilfe kann kein 'Gesetz der Brüderlichkeit' sein, unabhängig von den Bedingungen und Umständen"; und weiter: "Wir sind auf dem falschen Weg." Es gebe ein echtes Ungleichgewicht zwischen Sterbehilfe und Palliativkultur. Für den Islam-Vertreter ist der Ausdruck "assistierter Tod" irreführend und sollte durch "induzierter Tod" ersetzt werden. Es handle sich um einen echten Paradigmenwechsel.

Der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Eric de Moulins Beaufort, hatte im "La Croix"-Interview (Montag) erklärt, Macrons Begrifflichkeiten seien schöne Rhetorik; tatsächlich öffne der Präsident auch assistiertem Suizid die Tür. Die Versprechungen zum Thema Palliativversorgung seien vage, wie schon seit 20 Jahren, kritisierte der Erzbischof von Reims.

Unterdessen kündigte das nationale Netzwerk der katholischen Familienverbände (AFC) an, man werde nicht gegen das Gesetz auf die Straße gehen, aber dennoch intensive Lobbyarbeit leisten. "Die Menschen wollen nicht länger hören, wie Katholiken ihnen überheblich erklären, wie sie leben sollen", sagte die AFC-Präsidentin Pascale Moriniere zu "La Croix". Man werde stattdessen Flugblätter verteilen und Briefe an die Parlamentarier schreiben, um zu sensibilisieren.

Beobachter sehen in dieser eher zurückhaltenden Strategie auch eine Reaktion auf die öffentlichen Niederlagen der vergangenen Jahre; etwa der Demonstrationen der Anti-Gender-Bewegung "Manifs pour tous" seit 2012, gegen künstliche Befruchtung für alleinstehende und lesbische Frauen 2021 oder die Liberalisierungen des Abtreibungsgesetzes 2022 und 2024.

Präsident Macron hatte in einem Zeitungsinterview am Sonntag die baldige Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Lebensende angekündigt. Medial wurde seine Skizzierung des Gesetzesrahmens als eine Freigabe aktiver Sterbehilfe unter strengen Auflagen gewertet.

Aktive Sterbehilfe, auch als Tötung auf Verlangen bezeichnet, liegt laut deutschem Strafgesetzbuch vor, wenn jemand durch das "ausdrückliche und ernstliche Verlangen" des Getöteten zur Tötung bestimmt wurde und den Tod gezielt aktiv herbeigeführt hat.

Beihilfe zum Suizid leistet, wer einem Menschen, der sich selbst tötet, dabei Hilfe gewährt; etwa durch Besorgen von Präparaten oder die Zubereitung eines Gift-Getränks. In Abgrenzung zur "Tötung auf Verlangen" kommt es darauf an, dass der Sterbewillige das Geschehen in der Hand behält.

Nach Worten Macrons sollen künftig unheilbar kranke Erwachsene im Endstadium ihrer Krankheit "um Hilfe bitten können zu sterben". Der Patient müsse voll urteilsfähig, also weder minderjährig noch psychisch krank sein. Aktive Sterbehilfe soll dann durch ein tödliches Präparat erfolgen, das der Sterbewillige selbstständig oder aber mit Hilfe einer anderen Person zu sich nimmt.

Bislang ist in Frankreich gesetzlich lediglich erlaubt, Todkranke am Lebensende dauerhaft zu sedieren und Apparate abzuschalten. Fälle von Schwerkranken, die sterben wollen oder deren Angehörige sie sterben lassen wollen, sorgen immer wieder für heftige öffentliche Debatten.

Alexander Brüggemann/KNA